Text zum Katalog "Refugium" (2011)

Malerei auf Papier. Thomas Flemmings »Refugium« bei Galerie Filipp Rosbach,
Januar 2010
von Karoline Mueller-Stahl

Der Zyklus »Refugium« von Thomas Flemming beschreibt ein Experiment, einen Versuch oder gar einen (ver)suchenden Selbstversuch. Eine hockende, sitzende oder stehende unbekleidete Figur befindet sich auf einer bogenförmigen Lichtung im Wald. Mal ist das Dickicht des umgebenden Waldes zeichnerisch ausformuliert, mal ist die Umgebung nur erahnbar, dann wieder steht die Figur neben einem unheimlichen dunklen Abgrund. Einmal erkennt man eine Hütte im Hintergrund (aber ist dort noch eine andere Figur zu sehen?), dann scheint eine Figur eine andere auf den Schoß zu nehmen, vielleicht ist das aber auch nur eine Fantasie. Wir befinden uns hier an der Grenze des Realen. Die Einsamkeit erzeugt wohl manchmal auch Verwirrungen.
Flemmings Antriebsfeder scheint dabei aber nicht die romantische Flucht vor der Zivilisation zu sein oder der Wunsch, die (Künstler-)Existenz der heutigen Zeit zu entrücken und in eine vermeintlich heilere Natur zu streben. Er sucht vielmehr Antworten auf die Frage, was geschieht, wenn einer sich aussetzt? Der Landschaft, dem Wald und vor allem sich selbst. Wie verändert er sich? Wie blickt er auf seine Umgebung, wie diese auf ihn?
Thomas Flemming stellt sich mit diesem Thema des Waldgängers oder des Eremiten in eine längere Tradition künstlerischer, literarischer und wissenschaftlicher Werke. Ernst Jüngers Essay Der Waldgang oder Henry David Thoreaus Bericht Walden oder Leben in den Wäldern sind literarische Beispiele für die Suche nach Unabhängigkeit oder nach dem Eigentlichen. Der symbolischen Aufgeladenheit des Themas begegnet Flemming mit seiner klaren einfachen Versuchsanordnung der stets gleichen Kulisse, die er wie ein Wissenschaftler beobachtend zu umrunden scheint.
Charakteristisch ist die malerische Art der Umsetzung mit angelöster Kohle auf Papier, die Arbeiten oszillieren zwischen Malerei und Zeichnung. Der Verzicht auf weitere Farben, die Konzentration auf die umfangreiche Menge an hellen und dunklen Grautönen bis zu tiefem Schwarz und hellen Lichtpunkten oder glänzenden Materialschichten, und die Wahl des Trägermaterials Papier unterlaufen den hohen Ton der existenziellen Frage und setzen ihre ganze Kraft in das Ergründen der unendlichen Metamorphosen seines Untersuchungsgegenstandes.